Der Geschmack der Tradition

Von dieser bäuerlichen Welt, die Bepi kannte, ist nicht viel übrig geblieben. Diejenigen, die die Felder bestellt haben, sind andere Wege gegangen und der Fortschritt hat Reichtum und Identitätsverlust zusammengebracht. Von den Traditionen ist wenig oder gar nichts geblieben. Denjenigen, die Zeugen einer vergangenen Zeitepoche gewesen sind, bleiben nur die Erinnerungen.

„Und Erinnerung gibt es viele. Zum Beispiel die nicht geteerten Schotterstraßen, von denen, wenn ein Auto vorbeigefahren ist, eine große Staubwolke empor stieg. Der Teer ist später aufgekommen und hat das Landschaftsbild verändert. Und auch in Verbindung mit dem Essen gibt es Erinnerungen.

In der Gegend, die Prà dei Gai genannt wird und in der Gras und Viehfutter angebaut wurde, züchteten die Hirten Ziegen und Schafe, um mit deren Milch ausgesprochen renommierten Schafs- und Ziegenkäse herzustellen. Geschmacksnoten, die bis vor etwa fünfzehn Jahren allesamt noch lebendig waren.

In der ganzen Gegend gab es viele Herden: Die Familien hielten Schafe, stellten Butter, Ricotta und Käse her und verkauften die Wolle. Übrig geblieben ist nichts. Ich habe noch die alten Frauen vor Augen, die als Futter für die Enten, einer weiteren wichtigen Ertragsquelle in einer rein auf das Auskommen ausgerichteten Wirtschaft, Brennnesseln sammeln gingen. Sie griffen mit ihren schwieligen Händen nach den Nesseln und machten trotz des Brennens nicht Halt, da die Brennnesseln das Fleisch des Geflügels schmackhafter und nahrhafter machten.

Wenn ich an die Geschmacksnoten von einst denke… Die jungen Leute von heute kennen sie nicht, sie können keinen Vergleich ziehen. Ich erinnere mich an den natürlichen Geschmack der Kirschpflaumen und der zuckersüßen Feigen, die getrocknet wurden. In Öl eingelegte oder im Fett konservierte Enten fehlten in keiner Speisekammer. Wenn das Öl ranzig geworden war, wurde es nicht weggeschüttet, und wenn der Wein sauer geworden war, trank man ihn trotzdem. Vergeudet wurde bei den Bauern nichts und andererseits waren die Familien, wegen der Halbpacht, die vorsah, dass die Anzahl an Hektar Land der Anzahl der Familienangehörigen entsprechend, zugewiesen wurde, ausgesprochen groß. Die Familie Piccolo zählte etwa fünfzig Köpfe. Erwachsene und Kinder aßen nacheinander, die Frauen im Stehen und im Sommer im Freien vor der Haustür mit dem Teller in der Hand. Im Alltag ernährten sie sich vor allem von Polenta, einem Brei aus Maisgrieß, und Milch, Heringen und wildwachsendem Radicchio. Der schmeckte im Herbst nach dem ersten Reif frisch geerntet und mit Grieben garniert besonders gut. Sicherlich litt niemand an einem zu hohem Cholesterinspiegel. Die Bauern hatten andere Krankheiten wie Pellagra und Skorbut, die von der Unterernährung herrührten. Es war eine einfache, aber unverfälschte Küche, für die Geschmacknoten typisch waren, die inzwischen verloren gegangen sind. Dass ich wieder zur Landwirtschaft zurückgekehrt bin, hat auch diese Bedeutung: Anzuerkennen, dass die Natur das wichtigste Gut ist. Die Mutter, die uns ernährt. Und wenn der Mensch jeden Tag isst und trinkt, hat er wirklich alles gelöst. Das muss uns wieder bewusst werden und diese Erkenntnis müssen wir an die neuen Generationen weitergeben“.

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